Theorie-Dérive: Metamorphosen des Imperiums
Von der demokratischen Mission zum souveränen Egoismus – und warum sich dabei weniger ändert, als die Rhetorik vermuten lässt
Die Methode folgt situationistischer Praxis: Umherschweifen durch Begriffslandschaften, geleitet von affektiver Resonanz statt linearer Argumentation – kein System bauen, vielmehr Schneisen schlagen, die andere nutzen können.

I. Ausgangspunkt: Der Gestaltwandel
Die National Security Strategy 2025 präsentiert sich als Bruch – Abkehr vom liberalen Internationalismus, Ende des „Atlas“-Posierens, Rückzug auf das Eigene. Die Sprache wechselt von universalistischem Pathos zu unverblümtem Partikularismus: „The purpose of foreign policy is the protection of core national interests; that is the sole focus.“ Doch genau hier, im Moment der angeblichen Bescheidung, lohnt der präzisere Blick.
Was sich als Rückzug inszeniert, expandiert simultan. Der „Trump Corollary“ zur Monroe-Doktrin beansprucht Hemisphären-Kontrolle; die Europa-Passage fordert „cultivating resistance“ gegen demokratisch gewählte Regierungen; die Wirtschaftsstrategie zielt auf Dominanz kritischer Lieferketten weltweit. Der Universalitätsanspruch verschwindet keineswegs – er wechselt das Register, die Legitimationsformel, den diskursiven Mantel.
Diese Metamorphose verdient genauere Betrachtung, weil sie ein Strukturmerkmal kolonialer Logik offenlegt: deren Fähigkeit zur permanenten Selbsttransformation bei gleichzeitiger Persistenz der Grundoperation.
II. Erste Drift: Souveränität als Waffe
Das Dokument zelebriert Souveränität – „The world’s fundamental political unit is and will remain the nation-state“ – und fordert im selben Atemzug deren Verletzung bei anderen. Die westliche Hemisphäre soll von „non-Hemispheric competitors“ freigehalten werden; europäische Innenpolitik bedarf amerikanischer „cultivation of resistance“; Golf-Monarchien verdienen Respekt vor ihren Traditionen, während europäische Regierungen – so die NSS – als „unstable minority governments“ demokratische Grundprinzipien verletzen, indem sie Opposition unterdrücken. Der Subtext: Parteien wie die AfD führen Umfragen an, doch die regierenden Koalitionen ignorieren diesen „Volkswillen“ – was die NSS als Demokratiedefizit rahmt, um rechte Bewegungen als legitime Stimme des Volkes zu adeln.

Hier operiert eine bekannte koloniale Figur: asymmetrische Souveränität. Bestimmte Entitäten besitzen volle Handlungsfähigkeit; anderen wird sie selektiv zugestanden, entzogen, dosiert – je nach Nützlichkeit für das Zentrum. Der liberale Internationalismus praktizierte dieselbe Asymmetrie, rechtfertigte sie allerdings anders: als temporäre Intervention zur Verbreitung universeller Werte, die den Intervenierten letztlich zugutekommen sollten. Der neue Diskurs streicht diesen Umweg – er beansprucht Asymmetrie als legitimes Eigeninteresse ohne Universalisierungsversprechen.
Das ist ehrlicher und zynischer zugleich. Ehrlicher, weil die paternalistische Fiktion entfällt, man wolle anderen helfen. Zynischer, weil die moralische Selbstbindung wegfällt, die – bei aller Heuchelei – immerhin Kritik ermöglichte.
Aimé Césaire analysierte 1950 die koloniale Relation als „thingification“ – Verdinglichung des Anderen. Der liberale Kolonialismus verdingliche, während er „Entwicklung“ versprach; der nationalistische Kolonialismus verdinglicht und benennt es beim Namen. Die Operation bleibt; die Legitimation wechselt von Zivilisierungsmission zu Interessenpolitik.
III. Zweite Drift: Die Projektion der Auslöschung
Ein Schlüsselbegriff des Dokuments: „civilizational erasure“. Europa drohe in zwanzig Jahren „unrecognizable“ zu werden – durch Migration, sinkende Geburtenraten, Identitätsverlust. Diese apokalyptische Rhetorik projiziert auf Europa, was koloniale Expansion tatsächlich vollzog: die systematische Auslöschung von Kulturen, Sprachen, Wissenssystemen in den kolonisierten Territorien.

Frantz Fanon beschrieb koloniale Projektion als psychische Grundoperation: Der Kolonisator schreibt dem Kolonisierten zu, was er selbst praktiziert. Die aktuelle Variante verschiebt diese Projektion auf das „dekadente“ Europa – das seine eigene Zerstörung betreibe durch Offenheit für das Fremde. Die tatsächlichen Auslöschungen (indigene Völker, Sprachen, Ökosysteme) verschwinden aus dem Blickfeld; die imaginierte Selbstauslöschung Europas wird zur Bedrohung stilisiert.
Diese Verschiebung immunisiert gegen Kritik: Wer auf historische koloniale Gewalt verweist, betreibt angeblich selbst „civilizational erasure“ – nämlich die Demontage westlichen Selbstbewusstseins. Der Kritiker wird zum eigentlichen Zerstörer; die Kritik selbst zur Waffe des Feindes.
Was hier geschieht, ist epistemische Inversion: Die Geschichte kolonialer Gewalt wird nicht geleugnet, vielmehr umsortiert. Der Westen erscheint als Opfer – seiner eigenen Eliten, der Migration, der Wokeness. Die Täter-Opfer-Relation invertiert sich, ohne dass die koloniale Struktur (Zentrum-Peripherie, Dominanz, Extraktion) angetastet würde.
IV. Dritte Drift: Skalierbarkeit und ihre Grenzen
Anna Tsing analysiert in „The Mushroom at the End of the World“ Skalierbarkeit als Kernlogik kolonialer Expansion: die Fähigkeit, ein Projekt ohne fundamentale Transformation zu expandieren. Plantagen funktionieren so – dasselbe System, replizierbar, die lokalen Besonderheiten ausradiert.
Der liberale Internationalismus war ein skalierbares Projekt: Demokratie, Menschenrechte, freie Märkte – überall implementierbar, die lokalen Differenzen als noch-nicht-überwundene Defizite konzipiert. Das „Ende der Geschichte“ versprach globale Homogenität unter westlichen Vorzeichen.
„America First“ behauptet das Gegenteil: Jede Nation solle ihre eigenen Interessen verfolgen, keine universelle Formel. Doch diese Partikularität bleibt abstrakt – sie skaliert paradoxerweise selbst. „The world works best when nations prioritize their interests“ universalisiert den Interessenegoismus zur globalen Norm. Alle sollen partikulär sein, auf dieselbe Weise – westernisierter Nationalismus als Exportgut.
Die Monroe-Doktrin illustriert diese paradoxe Skalierung: Sie proklamiert Souveränität und oktroyiert sie zugleich. Die westliche Hemisphäre soll frei sein von „non-Hemispheric competitors“ – frei für amerikanische Hegemonie, die sich als Garantie von Freiheit inszeniert. Das Partikulare (US-Interesse) wird zum Universellen (Hemisphären-Ordnung), ohne dies einzugestehen.
V. Vierte Drift: Die Frage des Wissens
Die Strategie enthält eine implizite Epistemologie: Bestimmte Wissensformen gelten als valide, andere als verdächtig. „Climate change“ und „Net Zero“ erscheinen in Anführungszeichen – als ideologische Konstrukte, die „so greatly harmed Europe“ hätten. Gleichzeitig wird technologische Dominanz („AI, biotech, quantum computing“) zum strategischen Imperativ erklärt.

Diese Unterscheidung reproduziert koloniale Wissenshierarchien: Naturwissenschaft als Instrument von Macht gilt als legitim; Naturwissenschaft als Kritik von Macht gilt als Ideologie. Das Wissen, das Expansion ermöglicht (Technologie, Ressourcenextraktion), wird privilegiert; das Wissen, das Grenzen benennt (Klimawissenschaft, Ökologie), wird delegitimiert.
Philippe Descola analysiert, wie westliche Naturkonzepte die Trennung von Kultur und Natur universalisieren – eine Trennung, die Extraktion erleichtert, weil „Natur“ als bloßes Ressourcenlager erscheint. Die NSS radikalisiert diese Logik: Energie-Dominanz als „top strategic priority“, explizite Ablehnung von Klimapolitik, keine Erwähnung ökologischer Grenzen.
Das ist keine Wissenslücke – es ist strategische Amnesie: gezieltes Vergessen dessen, was dem Expansionsprojekt widerspricht. Der liberale Internationalismus integrierte Klimadiskurs zumindest rhetorisch (wenn auch mit minimalen Konsequenzen); der neue Diskurs streicht ihn ersatzlos.
VI. Fünfte Drift: Verbündete als Instrumente
Die Passage über Allianzen verdient besondere Aufmerksamkeit: Sie seien „deployed as tools within a broader framework“ – Werkzeuge, keine Partner. Die NATO erscheint als Last, die es abzuschütteln gelte; europäische Verbündete als potentiell unzuverlässig, weil demographisch transformiert.
Der instrumentelle Allianz-Begriff markiert eine Verschiebung im Relationsmodus: vom (wenn auch asymmetrischen) Bündnis zur expliziten Klientelstruktur. Verbündete schulden Dienste (Militärausgaben, Marktzugang, Gefolgschaft); die USA schulden nichts außer kontingenter Protektion.
Das erinnert an klassische imperiale Klientelsysteme – Rom mit seinen foederati, das britische Empire mit seinen Protektoraten. Die formale Gleichheit souveräner Staaten wird beibehalten; die materiale Hierarchie wird unverblümt formuliert. „Fairness“ bedeutet dann: faire Bezahlung für amerikanische Protektion.
Walter Mignolo spricht von der „colonial matrix of power“ – einem Strukturgeflecht, das über wechselnde Hegemonien hinweg persistiert. Die USA übernehmen nach 1945 diese Matrix von den europäischen Kolonialmächten; „America First“ beerbt den liberalen Internationalismus, ohne die Matrix aufzulösen. Die Positionen rotieren; die Struktur bleibt.
VII. Sechste Drift: Die Frage nach Alternativen
Wenn koloniale Logik verschiedene diskursive Gewänder tragen kann – liberal-internationalistisch, nationalistisch-unilateral –, welche Position wäre dann tatsächlich außerhalb dieser Logik?

Hier wird die Analyse schwierig, weil die Alternativen selbst oft kolonial kontaminiert sind. Ein naiver Anti-Imperialismus kann in spekulare Umkehrung kippen – dieselbe Struktur, invertierte Vorzeichen. Postkoloniale Theorie riskiert akademische Domestizierung, die radikale Implikationen neutralisiert.
Tyson Yunkaporta schlägt in „Sand Talk“ eine andere Operation vor: keinen Angriff von außen, vielmehr Mustervergleich. Welche Muster wiederholen sich? Welche fehlen? Die koloniale Logik, so gelesen, kennzeichnet sich durch bestimmte wiederkehrende Muster: lineare Zeitkonzeption, Akkumulationsimperativ, asymmetrische Souveränität, epistemische Hierarchie.
Ein Denken außerhalb dieser Matrix müsste diese Muster weniger invertieren (was sie reproduziert) als unkenntlich machen – sie ihrer Selbstverständlichkeit berauben. Das ist weniger Kritik als Defamiliarisierung: Das Normale fremd erscheinen lassen, damit andere Möglichkeiten sichtbar werden.
Die NSS 2025 bietet eine unbeabsichtigte Gelegenheit: Sie formuliert die koloniale Logik so explizit, dass deren Muster sichtbar werden. Die liberale Variante verbarg dieselben Muster hinter universalistischer Rhetorik; die nationalistische Variante legt sie frei. Das ermöglicht präzisere Analyse – wenn auch keine automatische Überwindung.
VIII. Siebte Drift: Persistenz und Transformation
Die Eingangsfrage war: Wie transformieren sich westliche Universalitätsansprüche, ohne zu verschwinden? Die Antwort, die sich durch diese Driften abzeichnet: durch Rhetorikwechsel bei Strukturkonstanz.

Der liberale Internationalismus universalisierte partikuläre westliche Werte als allgemeinmenschlich. „America First“ partikularisiert universelle Dominanzansprüche als nationales Interesse. Beide Operationen rechtfertigen Asymmetrie, Intervention, Extraktion – mit unterschiedlichen diskursiven Registern.
Diese Flexibilität macht koloniale Logik so persistent: Sie kann verschiedene Sprachspiele bedienen, ohne ihren Kern preiszugeben. Kritik, die am einen Sprachspiel ansetzt, verfehlt die Transformation ins andere. Wer den liberalen Internationalismus als heuchlerisch entlarvt, wird vom nationalistischen Diskurs absorbiert („Wir sagen wenigstens ehrlich, was wir wollen“). Wer den Nationalismus kritisiert, kann auf die liberale Alternative verwiesen werden.
Die eigentliche Aufgabe wäre dann, die Konstante zu identifizieren – das, was durch beide Transformationen hindurch persistiert. Diese Konstante ist weniger ein Inhalt als eine Operationsweise: die Asymmetrisierung von Beziehungen, die Hierarchisierung von Wissen, die Extraktion von Ressourcen (materiell und epistemisch), die Projektion eigener Destruktivität auf den Anderen.
IX. Provisorisches Ende: Ohne Synthese
Théorie-Dérives enden nicht mit Synthese – sie brechen ab, weil der Wanderer müde wird oder der Weg ins Dickicht führt. Diese Drift hat keine Lösung produziert, keinen Ausweg aus der kolonialen Matrix gezeigt.
Was sie vielleicht geleistet hat: die Entautomatisierung einer verbreiteten Annahme. Die Annahme nämlich, der Wechsel von liberalem Internationalismus zu „America First“ markiere einen fundamentalen Bruch – das Ende westlicher Hegemonieansprüche, den Rückzug ins Partikulare, den Abschied vom Universalismus.
Die Drift suggeriert das Gegenteil: Der Universalismus transformiert sich, verschwindet aber nicht. Die Monroe-Doktrin von 1823 lebt 2025 fort – erweitert, aktualisiert, unter neuem Namen. Die koloniale Logik wechselt den rhetorischen Überbau; die Operationen bleiben erkennbar.
Das ist keine hoffnungslose Diagnose. Erkennen, was persistiert, ist Voraussetzung für dessen Überwindung. Die Defamiliarisierung, die diese Drift versucht hat, schafft keinen Ausweg – aber sie macht die Wände des Gefängnisses sichtbar, das sich vorher als offene Landschaft tarnte.
Die Drift endet hier – nicht weil das Thema erschöpft wäre, vielmehr weil der Wanderer an eine Kreuzung gelangt ist, von der aus mehrere Wege abgehen. Welchen er beim nächsten Mal einschlägt, hängt davon ab, wohin die Resonanz zieht.
Teil II: Materiale Gewalt, Schulden, Körper
Fortsetzung der Drift – nun entlang der Schneisen, die Clausewitz, Chamayou, Mbembe, Schmitt, Marx, Lazzarato, Graeber, Federici, Redecker, Stengers und Xunzi geschlagen haben
X. Achte Drift: Krieg ohne Krieg (Clausewitz)
Die NSS ist ein Strategiedokument – sie operiert mit militärischen Kategorien, Drohgebärden, Feindbestimmungen. Carl von Clausewitz, dessen Vom Kriege (1832) das Denken über bewaffnete Konflikte bis heute prägt, liefert den klassischen Referenzrahmen, gegen den die Transformation sichtbar wird.

Clausewitz‘ berühmte Formel: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“ Der Satz wird meist verkürzt zitiert, seine Pointe übersehen: Krieg bleibt der Politik untergeordnet, dient politischen Zielen, endet, wenn diese erreicht sind. Krieg ist Instrument, Politik ist Zweck. Die Gewalt hat Grenzen, weil die Politik ihr welche setzt.
Die NSS invertiert dieses Verhältnis stillschweigend. Politik wird zur Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln: Handelsabkommen als Waffensysteme, Zölle als Munition, Schulden als Belagerung, Sanktionen als Blockade. „Economic security is fundamental to national security“ – der ökonomische Raum wird zum Schlachtfeld, auf dem permanent gekämpft wird. Kein Friedensschluss, keine Kapitulation, keine Beendigung. Der Wirtschaftskrieg kennt kein Ende, weil er keinen Anfang hat – er ist Normalzustand.
Friktion – Clausewitz‘ zentrales Konzept: „Im Kriege ist alles sehr einfach, aber das Einfachste ist schwierig.“ Die Realität des Kampfes erzeugt Reibung, Unvorhergesehenes, Zusammenbrüche. Pläne scheitern am Kontakt mit dem Feind; Logistik versagt; Moral bricht; Wetter interveniert. Kein Plan überlebt die erste Feindberührung.
Die NSS ignoriert Friktion systematisch. Sie präsentiert Hemisphären-Kontrolle als logistisches Problem, lösbar durch korrekte Ressourcenallokation: mehr Coast Guard, mehr Navy, mehr „lethal force“. Die Kartelle werden „defeated“, die Migration wird „controlled“, die Konkurrenten werden „denied“. Kein Platz für das Unberechenbare, für den Widerstand des Wirklichen, für die Reibung zwischen Plan und Ausführung. Die Sprache ist Management, nicht Krieg – doch das Management träumt vom reibungslosen Krieg.

Nebel des Krieges – Clausewitz wusste, dass Feldherren im Dunkeln operieren. Informationen sind unvollständig, veraltet, falsch; die Lage ist unklar; der Feind täuscht. Strategische Entscheidungen fallen unter Bedingungen radikaler Unsicherheit.
Die NSS behauptet das Gegenteil: Durchblick, Präzision, Zielgenauigkeit. „Targeting“, „surgical strikes“, „intelligence-led operations“ – die Sprache suggeriert Klarheit, die nie existiert. Die Drohne verheißt gottgleiche Übersicht: der Pilot sieht alles, das Ziel sieht nichts. Doch der Nebel verschwindet nicht, er verschiebt sich – vom Schlachtfeld in die Interpretation, von der Lokalisierung zur Identifikation, von der Technik zur Politik. Wer ist „target“? Wer ist Kombattant? Wer ist Kollateralschaden? Die Fragen bleiben neblig, auch wenn die Rakete präzise trifft.
Absoluter versus wirklicher Krieg – Clausewitz unterscheidet: Der absolute Krieg tendiert zur Eskalation ohne Grenze, zum Äußersten, zur totalen Vernichtung des Feindes. Der wirkliche Krieg bleibt begrenzt, weil politische Zwecke ihn zähmen, weil Erschöpfung eintritt, weil Kompromisse attraktiver werden als Fortsetzung.
„America First“ tendiert zum Absoluten: totale Dominanz, vollständige Hemisphären-Kontrolle, Ausschaltung aller Konkurrenten. Gleichzeitig verspricht das Dokument Begrenzung – kein „forever war“, keine „nation-building“-Abenteuer, keine überdehnte Präsenz. Die Spannung ist unaufgelöst: Wie soll Hemisphären-Hegemonie ohne permanenten Krieg durchgesetzt werden? Wie soll totale Kontrolle begrenzt sein? Das Dokument liefert keine Antworten; es behauptet beides.
Krieg als Chamäleon – Clausewitz‘ dritte Einsicht: Der Krieg ändert seine Gestalt je nach historischer Situation. Jede Epoche führt Krieg auf ihre Weise; die Grundstruktur bleibt, die Erscheinung wandelt sich.

Die NSS beschreibt Krieg, der nicht mehr Krieg heißt: „law enforcement operations“, „lethal force against cartels“, „boat strikes“, „targeted deployments“. Der Name verschwindet; die Sache bleibt. Kein Kongress erklärt Krieg; kein Völkerrecht wird bemüht; kein Feind wird anerkannt. Es gibt nur Ziele, Operationen, Maßnahmen. Das Chamäleon hat die Farbe gewechselt – es trägt jetzt Polizeiuniform, spricht die Sprache der öffentlichen Sicherheit, operiert permanent statt episodisch.
Clausewitz dachte noch vom Zweikampf her: zwei Kontrahenten, gegenseitige Anerkennung, Eskalation und Deeskalation, Sieg oder Niederlage. Die NSS denkt vom Schädlingsbekämpfer her: ein Akteur, der Ungeziefer eliminiert, das weder anerkennt noch anerkannt wird. Das ist Chamayous Terrain – aber erst der Kontrast zu Clausewitz macht sichtbar, wie radikal die Transformation ist.
XI. Neunte Drift: Cynegetic Jurisdiction (Chamayou I)
Der erste Teil dieser Drift kreiste um Diskurs und Epistemologie – was fehlte, war die materiale Gewalt. Grégoire Chamayous Théorie du drone liefert das Korrektiv.
Die NSS 2025 spricht von „lethal force“ gegen Kartelle, von Bootsangriffen in der Karibik, von „targeted deployments“ zur Grenzsicherung. Das ist Chamayous Terrain: die Transformation des Krieges in permanente Polizeioperationen. Seine „manhunt doctrine“ beschreibt eine Gewaltform jenseits klassischer Kriegsführung – kein erklärter Konflikt, kein Feind im völkerrechtlichen Sinn, vielmehr Zielobjekte, die identifiziert, verfolgt, eliminiert werden. Die Grenze zwischen Militär und Polizei löst sich auf; der gesamte Raum wird zum potentiellen Jagdrevier.

Die Monroe-Doktrin 2.0 wäre dann weniger territoriale Kontrolle als cynegetic jurisdiction – Jagdhoheit über einen Raum, in dem jederzeit „surgical strikes“ stattfinden können. Die Hemisphäre als Pirschbezirk; die USA als Jäger mit globalem Schussfeld.
Chamayous Kernthese: Die Drohne asymmetrisiert Risiko radikal. Null Risiko für den Angreifer, totales für das Ziel. Diese Asymmetrie transformiert den Krieg in etwas anderes – in eine Form der Hinrichtung aus der Distanz, die sich als Krieg maskiert. Die NSS formuliert diese Logik für die Hemisphären-Strategie: amerikanische „safety“ bei gleichzeitiger „lethal force“ gegen Andere. Der Souverän riskiert nichts; das Ziel hat keine Gegenwehr.
Was Chamayou „Necro-Ethics“ nennt – die ethische Rationalisierung des Tötens aus sicherer Distanz – durchzieht das Dokument implizit. Die Kartell-Bekämpfung erscheint als chirurgische Intervention, als präzise Gewalt gegen präzise identifizierte Übel. Kollateralschäden, zivile Opfer, die Brutalität der Operation selbst verschwinden aus dem Blickfeld. Übrig bleibt die sterile Sprache des „targeting“.
Die Drohne ist dabei Chiffre für eine breitere Transformation: die Verwandlung von Territorien in Zielräume, von Menschen in „targets“, von Politik in Logistik der Vernichtung. Die NSS träumt diesen Traum für eine ganze Hemisphäre.
XII. Zehnte Drift: Die Produktion des Ungouvernierbaren (Chamayou II)
Chamayous zweites Hauptwerk La société ingouvernable verschiebt den Fokus – von der Jagd zur Gouvernementalität, von der Drohne zum Managementproblem. Seine These: Der Neoliberalismus produziert systematisch das Ungouvernierbare, das er dann bekämpfen muss.

Die NSS beklagt permanent „ungovernable spaces“ – Kartellterritorien, Migrationsbewegungen, chinesische Infiltration von Lieferketten, europäische Regierungen, die sich amerikanischer Kontrolle entziehen. Diese Klage über Kontrollverlust durchzieht das gesamte Dokument. Doch Chamayou würde fragen: Wer hat diese Räume der Unkontrollierbarkeit produziert?
Die Kartelle sind Produkt von Prohibition plus Freihandel – das US-amerikanische Drogenverbot schuf den Markt, NAFTA öffnete die Grenzen für Warenströme (inklusive illegaler), die Waffenexporte aus den USA bewaffneten die Kartelle. Die Migration resultiert aus jahrzehntelanger Extraktionspolitik im Süden, aus Freihandelsabkommen, die lokale Ökonomien zerstörten, aus klimatischen Verwerfungen, die auf fossile Industrialisierung des Nordens zurückgehen. Die „ungouvernable spaces“ sind keine externen Bedrohungen – sie sind Rückstände der eigenen Politik.
„America First“ wäre dann Re-Souveränisierung als Panik – der Versuch, gouvernementale Kontrolle wiederherzustellen, nachdem die eigene Politik sie unterminiert hat. Die NSS bekämpft Symptome ihrer eigenen Ursachen. Sie will Grenzen schließen, die sie selbst geöffnet hat; Räume kontrollieren, die sie selbst destabilisiert hat; Ordnung herstellen, die sie selbst aufgelöst hat.
Chamayou analysiert, wie neoliberale Gouvernementalität auf den Widerstand reagiert, den sie selbst erzeugt: durch Intensivierung der Kontrolle, durch technologische Aufrüstung, durch Militarisierung des Zivilen. Die NSS folgt diesem Muster präzise. Mehr Drohnen, mehr Überwachung, mehr „lethal force“ – als Antwort auf Probleme, die genau diese Logik produziert hat.
Das Ungouvernierbare ist dann kein Außen, das es zu bezwingen gälte – es ist das Produkt des Gouvernierens selbst. Die Hemisphären-Strategie versucht, dieses Paradox durch Eskalation zu lösen: mehr Kontrolle über das, was sich der Kontrolle entzieht. Ein Teufelskreis, der sich als Strategie maskiert.
XIII. Elfte Drift: Nekro-Jurisdiktion (Mbembe)
Achille Mbembes Necropolitics radikalisiert Foucaults Biopolitik: Wo Foucault die Macht analysiert, Leben zu fördern oder sterben zu lassen, fokussiert Mbembe die Macht zu töten – die Produktion von „death-worlds“, in denen bestimmte Populationen dem Tod ausgesetzt werden.

Die NSS hierarchisiert Leben implizit, systematisch, durchgängig. Amerikanische Fentanyl-Tote zählen – sie erscheinen als nationale Tragödie, als Kriegserklärung der Kartelle. Mexikanische Tote an der Grenze, Ertrunkene im Mittelmeer, Opfer der Abschiebepolitik – sie kommen nicht vor. „Civilizational erasure“ droht Europa durch Migration; dass Migration selbst massenhaft tödlich endet, bleibt unsichtbar.
Diese differentielle Zählung von Toten ist Nekropolitik in Reinform. Mbembe analysiert, wie koloniale Macht „zones of death“ produziert – Räume, in denen das Leben keinen Schutz genießt, in denen Töten keine Konsequenzen hat, in denen Menschen auf bare life reduziert werden. Die Grenze ist solch eine Zone; das Mittelmeer ist solch eine Zone; die „ungovernable territories“ der Kartelle sind solche Zonen.
Die Monroe-Doktrin 2.0 wäre dann Nekro-Jurisdiktion – die Beanspruchung des Rechts, über Leben und Tod in der Hemisphäre zu entscheiden. Wer geschützt wird, wer exponiert bleibt, wer dem Tod überlassen werden darf – diese Entscheidungen definieren Souveränität im Mbembe’schen Sinn. Das Dokument formuliert diese Souveränität explizit: Die USA entscheiden, wo „lethal force“ angemessen ist, wer als „target“ gilt, welche Leben zählen.
Die Asymmetrie der Drohne (Chamayou) und die Hierarchie des Lebens (Mbembe) konvergieren: Die Macht, aus sicherer Distanz zu töten, ist die Macht, bestimmte Leben als tötbar zu definieren. Die NSS institutionalisiert diese Macht hemisphärisch. Das Jagdrevier (cynegetic jurisdiction) ist zugleich Todeszone (necropolitical territory).
Mbembe betont die koloniale Genealogie dieser Logik: Die Plantage war der erste nekropolitische Raum – ein Ort, an dem Leben und Tod dem Kalkül des Besitzers unterworfen waren. Die zeitgenössische Grenze, das Lager, die „free fire zone“ setzen diese Genealogie fort. Die Monroe-Doktrin von 1823 deklarierte eine Hemisphäre zum amerikanischen Einflussbereich; 2025 wird dieselbe Hemisphäre zur potentiellen Todeszone, über die amerikanische Souveränität das Recht zu töten beansprucht.
XIV. Zwölfte Drift: Großraum und Nomos (Schmitt)
Die unbequemste Drift führt zu Carl Schmitt – dem „Kronjuristen des Dritten Reiches“, dessen Begriffe dennoch unheimliche Präzision für die Gegenwart besitzen.

Schmitts Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte (1939) analysiert genau die Figur, die die NSS 2025 realisiert: Ein Hegemon beansprucht einen Großraum, aus dem externe Mächte („raumfremde Mächte“) ferngehalten werden. Die Monroe-Doktrin war Schmitts Paradebeispiel – die amerikanische Deklaration von 1823 als Prototyp einer Großraumordnung, die den liberalen Universalismus unterläuft.
Die NSS formuliert Schmitt’sche Kategorien, ohne ihn zu zitieren: „deny non-Hemispheric competitors the ability to position forces or other threatening capabilities“ – das ist das Interventionsverbot für raumfremde Mächte, wörtlich. „American preeminence in the Western Hemisphere“ – das ist der Großraum mit hegemonialem Kern. Die Sprache ist Schmitt’sch; die Struktur ist Schmitt’sch; die Logik ist Schmitt’sch.
Schmitt entwickelte diese Theorie als Alternative zum liberalen Universalismus, den er als anglo-amerikanische Hegemonie im Gewand des Völkerrechts verstand. Ironischerweise realisieren die USA nun selbst das Schmitt’sche Modell – der Universalismus wird zugunsten einer expliziten Großraumordnung aufgegeben. „America First“ ist die amerikanische Version dessen, was Schmitt für Deutschland konzipierte.
Das wirft die unangenehme Frage auf: Ist die Kritik am liberalen Internationalismus, die der erste Teil dieser Drift formulierte, bereits Schmitt’sch kontaminiert? Wer den Universalismus als Hegemonie entlarvt, landet bei partikularen Großräumen – genau dort, wo Schmitt landen wollte. Die Kritik des Imperiums kippt in die Legitimation konkurrierender Imperien.
Schmitts Nomos der Erde (1950) historisiert diese Struktur: Jede Weltordnung basiert auf einer ursprünglichen Landnahme, einer Verteilung des Raums, die dann juridisch ratifiziert wird. Der europäische Nomos basierte auf der kolonialen Landnahme der „Neuen Welt“; sein Ende produziert das Vakuum, in das neue Großräume expandieren. Die NSS 2025 wäre dann Proklamation eines neuen Nomos – die amerikanische Re-Landnahme der Hemisphäre, die Etablierung einer neuen Raumordnung nach dem Ende des liberalen Interregnums.
Die Drift kann Schmitt nicht salvieren – seine Kompromittierung ist total. Aber sie kann die Frage stellen: Welche Kritik des Universalismus vermeidet den Schmitt’schen Ausgang? Wie denkt man gegen Hegemonie, ohne bei konkurrierenden Hegemonien zu landen? Das bleibt offen – eine Aporie, die diese Drift nicht auflöst.
XV. Dreizehnte Drift: Tragödie und Farce (Marx)
„Hegel bemerkt irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“ So eröffnet Marx Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte (1852) – eine Analyse, die für die NSS 2025 gespenstische Aktualität besitzt.

Die Monroe-Doktrin von 1823 war Tragödie: imperiale Expansion, Verdrängung indigener Völker, Unterwerfung eines Kontinents, blutig ernst gemeint. Der „Trump Corollary“ von 2025 ist deren farcenhafte Wiederkehr: dieselben Ansprüche, dieselbe Rhetorik, aber im Kostüm, im Zitat, im nostalgischen Rückgriff auf eine Größe, die man nicht wiederherstellen kann, weil man sie nie besaß. Die NSS spielt Monroe, so wie Louis Bonaparte Napoleon spielte – der Neffe als Kopie des Onkels, die Geste ohne Substanz, das Spektakel als Ersatz für Geschichte.
„Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden.“ Das Dokument ist durchzogen von Beschwörungen: „golden age“, „America’s past glories“, „historic greatness“. Es operiert im Kostümverleih der Geschichte, trägt Gewänder, die nicht passen, rezitiert Formeln, deren Bedingungen verfallen sind. Die Hemisphären-Hegemonie von 1823 beruhte auf britischer Duldung und europäischer Erschöpfung nach den napoleonischen Kriegen; die Hemisphären-Hegemonie von 2025 trifft auf China, auf multipolaren Widerstand, auf ökologischen Kollaps. Dieselben Worte, andere Welt.

Marx‘ Bonapartismus-Analyse trifft einen Nerv. Louis Bonaparte kam zur Macht, als keine Klasse mehr herrschen konnte – das Bürgertum zu schwach, das Proletariat noch nicht stark genug, die Bauernschaft atomisiert. In dieses Vakuum trat ein Abenteurer, der vorgab, alle zu vertreten, während er keiner Klasse diente außer sich selbst. Die Exekutive verselbstständigte sich; der Staat wurde zur „furchtbarsten Körperschaft“, die über der Gesellschaft schwebt.
Die NSS artikuliert eine analoge Konstellation: „pro-worker“-Rhetorik bei unverhohlener Kapitalfreundlichkeit; Mittelstandsbeschwörung bei Oligarchennähe; populistische Gesten bei elitärer Substanz. Wessen Interessen vertritt dieses Dokument? Die Frage wird systematisch vermieden, ersetzt durch Identitätsformeln: „American interests“, „our nation“, „we“. Das „Wir“ verschleiert die Klassenfrage, die Marx stellen würde: Wer profitiert von Hemisphären-Kontrolle? Wer zahlt für die Militarisierung? Wessen Arbeit wird „pro-worker“-Politik schützen – und wessen ausbeuten?
Marx‘ Lumpenproletariat – jene deklassierte Schicht, die Bonaparte als Basis diente – findet Echos in der NSS-Rhetorik: die „forgotten Americans“, die zurückgelassene Arbeiterklasse, deren Ressentiments mobilisiert werden, ohne dass ihre Interessen bedient würden. Die Konstellation ist bekannt: Eine politische Formation, die sich auf Abstiegsängste stützt, während sie Abstieg produziert; die Feinde benennt (Migranten, China, „woke elites“), während sie die Strukturen schützt, die den Abstieg verursachen.

Der Bonapartismus regiert durch Spektakel – Paraden, Proklamationen, nationale Größe als Ersatz für materiale Verbesserung. Die NSS ist Spektakel-Dokument: 33 Seiten Selbstbeweihräucherung, „President of Peace“, „golden age“, historische Superlative. Die Farce besteht darin, dass niemand das Kostüm für echt hält – und es dennoch funktioniert, weil Alternativen fehlen, weil die Opposition gelähmt ist, weil das Spektakel seine eigene Realität erzeugt.
Marx‘ tiefere Einsicht: Geschichte wiederholt sich, weil die Lebenden die Toten nicht begraben können. Sie borgen „Namen, Schlachtparole, Kostüm“ aus der Vergangenheit, um Gegenwartskämpfe zu führen, deren Neuheit sie nicht anerkennen wollen. Die NSS kämpft den Kalten Krieg (gegen China), den Imperialismus des 19. Jahrhunderts (Monroe-Doktrin), den Kulturkampf der 1990er („traditional families“) – immer rückwärtsgewandt, immer im Zitat, immer in der Verkleidung. Die Gegenwart bleibt unbegriffen, weil sie nur durch tote Kategorien gesehen wird.
Schmitt und Marx: beide denken Ausnahmezustand, beide denken Souveränität, aber von verschiedenen Enden. Schmitt juridisch-räumlich, Marx politökonomisch. Schmitts Großraum ist Rechtsform; Marx‘ Bonapartismus ist Klassenform. Die NSS braucht beide Analysen, weil sie beides ist: juridische Raumordnung und Klassenherrschaft im populistischen Kostüm. Der Großraum dient Interessen, die er nicht benennt; der Bonapartismus benennt Interessen („workers“), denen er nicht dient. Die Lüge operiert auf beiden Ebenen.
XVI. Vierzehnte Drift: Schulden als Waffe (Lazzarato)
Maurizio Lazzaratos The Making of the Indebted Man analysiert Schulden als Gouvernementalitätsinstrument: Wer verschuldet ist, ist regierbar. Die Schuldenrelation produziert Subjektivitäten – den „verschuldeten Menschen“, der seine Zukunft bereits verpfändet hat, der arbeiten muss, um abzuzahlen, der keine Alternative hat.

Die NSS betont Finanzdominanz als strategische Priorität: „the world’s leading financial system and capital markets“, „the dollar’s global reserve currency status“, „preserving and growing our dominance“. Das ist keine Randnotiz – es ist Kernstrategie. Die amerikanische Hegemonie operiert wesentlich über Finanzströme, Kreditvergabe, Währungsabhängigkeit.
Die Hemisphären-Strategie inkludiert „debt-traps“ als Warnung vor chinesischer Hilfe – jene Falle, in der Kreditnehmer in Abhängigkeit geraten. Doch US-Finanzinstitutionen praktizierten dieselbe Logik seit Jahrzehnten: IWF-Strukturanpassungsprogramme, die Souveränität gegen Kredite tauschten; Weltbank-Projekte, die Verschuldung produzierten; Dollar-Abhängigkeit, die Länder erpressbar macht.
Die Schuldenmaschine ist koloniales Kontinuum. Lazzarato zeigt, wie Schulden Zeitlichkeit transformieren: Die Zukunft wird zum Pfand der Gegenwart; Potentialität wird fixiert; Alternativen werden abgeschnitten. Verschuldete Länder können keine eigenständige Politik mehr machen – sie müssen zahlen, also müssen sie exportieren, also müssen sie die Bedingungen akzeptieren, die der Gläubiger diktiert.
Die NSS formuliert diese Logik offen: Partnerländer sollen amerikanische Produkte kaufen, amerikanische Finanzierung akzeptieren, sich in Dollar-denominierte Abhängigkeiten begeben. Im Gegenzug: Protektion, Marktzugang, technologische Krümel. Das ist klassische Klientelstruktur, finanzkapitalistisch aktualisiert. Die Hemisphäre als Schuldnerraum; die USA als ultimativer Gläubiger.
Lazzaratos Pointe: Schulden sind keine ökonomische, vielmehr eine moralische Relation. Der Schuldner schuldet – er ist schuldig. Diese Moralisierung macht Widerstand schwierig: Wer seine Schulden nicht zahlt, ist unmoralisch, unzuverlässig, gefährlich. Die NSS operiert mit dieser Moralisierung, wenn sie „predatory economic practices“ anderer kritisiert, während sie selbst prädatorische Finanzpraktiken als „mutually beneficial“ framert.
Die Drift könnte tiefer bohren: Welche Subjektivitäten produziert die hemisphärische Schuldenordnung? Wie transformiert finanzielle Abhängigkeit politische Möglichkeiten? Und: Gibt es Formen des Schuldenstreiks, der Schuldenverweigerung, die aus der Logik ausbrechen?
XVII. Fünfzehnte Drift: Bürokratisierung durch Zerstörung (Graeber/Slobodian)
Die NSS feiert „deregulation“ als Befreiungsakt und beklagt Europas „regulatory suffocation“ – doch diese Opposition von Regulierung und Freiheit ist selbst ideologische Konstruktion. David Graebers The Utopia of Rules demontiert sie: Deregulierung produziert mehr Bürokratie, nicht weniger.

Jedes zerschlagene Staatsmonopol gebiert Hydraköpfe administrativer Neuordnung: Compliance-Abteilungen, Rating-Agenturen, Zertifizierungsstellen, Ausschreibungsregimes, Schnittstellenmanagement, Vertragscontrolling. Was einmal eine staatliche Behörde erledigte, erfordert nun Heerscharen von Beratern, Prüfern, Vermittlern. Das Gesundheitswesen wird zum Abrechnungslabyrinth; Energie zum Derivate-Casino mit regulatorischem Überbau; Transport zur Franchise-Bürokratie mit staatlicher Rückversicherung.
Die Pointe: Simulierte Märkte sind aufwändiger zu administrieren als die Monopole, die sie ersetzten. Wo früher ein Ministerium entschied, verhandeln nun Dutzende Akteure nach kodifizierten Regeln, deren Einhaltung wiederum überwacht werden muss. Der Markt reguliert sich nicht selbst – er erfordert permanente Regulierung seiner Simulation.
Quinn Slobodian ergänzt in Globalists die historische Tiefenschärfe: Der Ordoliberalismus wollte Märkte nie „befreien“ – er wollte sie einhegen, juridisch absichern, gegen demokratische Intervention immunisieren. Das Encasement der Ökonomie, ihr Einschluss in rechtliche Gehäuse, erfordert massiven bürokratischen Aufwand. Die WTO mit ihren Streitschlichtungsverfahren, die Investorenschutzgerichte, die Freihandelsabkommen mit zehntausenden Seiten Regelwerk – das ist Bürokratisierung im Namen der Entbürokratisierung.
Die NSS reproduziert diese Struktur: Sie verspricht Deregulierung und projektiert zugleich ein Netzwerk von Handelsabkommen, Finanzierungsprogrammen, Zertifizierungsregimes, Compliance-Anforderungen für Partnerländer. „Sole-source contracts for our companies“, „terms of our agreements“, „expedite approvals and licensing“ – das ist bürokratische Feinmechanik, keine Befreiung vom Regelwerk.
Die eigentliche Operation: Bürokratietransfer. Was abgebaut wird, ist demokratisch kontrollierte Administration im Inneren; was aufgebaut wird, ist technokratische Verwaltung internationaler Wirtschaftsbeziehungen, entzogen parlamentarischer Kontrolle, delegiert an Expertengremien und Schiedsgerichte. Der Bürger verliert Zugang zur Bürokratie, die über ihn entscheidet; der „Partner“ muss amerikanische Prozeduren befolgen, ohne sie beeinflussen zu können.

Graebers tiefere These: Bürokratie ist strukturelle Gewalt in institutionalisierter Form. Sie zwingt zur Anpassung an Kategorien, die man nicht gewählt hat; sie bestraft Nonkonformität; sie produziert Ohnmacht gegenüber anonymen Verfahren. Die NSS globalisiert diese strukturelle Gewalt als Freihandelsordnung – die Hemisphäre als Verwaltungsraum amerikanischer Normierung, deren bürokratische Last die „Partner“ tragen.
Slobodians Konklusion: Der Neoliberalismus war nie anti-staatlich – er war anti-demokratisch. Er wollte den Staat nicht abschaffen, vielmehr von demokratischer Einflussnahme isolieren. Die NSS realisiert dieses Programm hemisphärisch: Märkte werden geschützt; demokratische Kontrolle über sie wird als „regulatory suffocation“ denunziert. Was bleibt, ist Bürokratie ohne Demokratie – Verwaltung im Dienste von Kapital, nicht von Bürgern.
XVIII. Sechzehnte Drift: Reproduktion als Schlachtfeld (Federici)
„Traditional families“, „birthrates“, „civilizational erasure“ – die NSS operiert mit demographischer Panik. Europa drohe die Auslöschung durch sinkende Geburtenraten plus Migration; die Lösung sei Rückbesinnung auf „traditional families that raise healthy children“.

Silvia Federici analysiert in Caliban and the Witch, wie die ursprüngliche Akkumulation wesentlich über die Kontrolle weiblicher Reproduktion operierte. Die Hexenverfolgung war keine irrationale Panik – sie war systematische Zerstörung weiblicher Autonomie über den eigenen Körper, Vorbedingung für die Produktion einer disziplinierten Arbeiterschaft. Der weibliche Körper wurde zum Terrain staatlicher Intervention; Reproduktion wurde zur Ressource für das Kapital.
Die NSS setzt diese Logik fort, unter demographischem Vorzeichen. Die Bevölkerung erscheint als zu verteidigende Ressource, deren „Reinheit“ bedroht ist. „Civilizational erasure“ droht, weil Frauen nicht genug Kinder bekommen (europäische Frauen, versteht sich – die Reproduktion des globalen Südens erscheint als Bedrohung, als Quelle von „mass migration“). Die Lösung: Rückkehr zur „traditional family“, was de facto Rückkehr zur institutionalisierten Kontrolle weiblicher Reproduktion bedeutet.
Michelle Murphy erweitert diese Analyse in The Economization of Life: Bevölkerungspolitik war immer biopolitisches Projekt, das bestimmte Leben als förderungswürdig, andere als einzudämmen klassifizierte. Die Familienplanungsprogramme des 20. Jahrhunderts zielten auf Reduktion „minderwertiger“ Reproduktion (im globalen Süden, in armen Communities); zeitgenössische pro-natalistische Politik zielt auf Förderung „wertvoller“ Reproduktion (weiß, gebildet, national).
Die NSS codiert diese Hierarchie kulturalistisch: Europa soll „europäisch“ bleiben – was impliziert, dass bestimmte Reproduktion wertvoll ist (die der „europäischen“ Bevölkerung), andere bedrohlich (die der Migranten). Die demographische Panik ist rassifizierte Panik; die Forderung nach „traditional families“ ist Forderung nach Kontrolle über den richtigen weiblichen Körper.
Federicis Pointe: Die Kontrolle der Reproduktion ist kein Nebeneffekt kapitalistischer Akkumulation – sie ist deren Bedingung. Ohne kontrollierte Reproduktion keine kontrollierte Arbeitskraft. Die NSS aktualisiert diese Logik für das 21. Jahrhundert: Ohne demographische Kontrolle keine zivilisatorische Kontinuität. Der weibliche Körper bleibt Schlachtfeld; nur die Rhetorik wechselt von „Hexerei“ zu „birthrates“.
XIX. Siebzehnte Drift: Bleiben als Unmöglichkeit (Redecker)
Eva von Redeckers Bleibefreiheit demontiert die liberale Gleichsetzung von Freiheit und Mobilität. Die klassische Freiheitskonzeption denkt vom Exit her: Frei ist, wer gehen kann – den Job kündigen, das Land verlassen, die Beziehung beenden. Diese Exit-Freiheit strukturiert auch die NSS: Kapital soll fließen, Märkte sollen offen sein, amerikanische Unternehmen sollen überall operieren können.

Doch Redecker wendet die Perspektive: Wer fliehen muss, ist unfrei – auch bei offener Grenze. Freiheit wäre, bleiben zu können. Bleibefreiheit meint das Recht auf Verwurzelung, auf Zugehörigkeit, auf einen Ort, den man nicht verlassen muss, weil die Bedingungen des Lebens dort intakt bleiben.
Die NSS zerstört systematisch diese Bedingungen. Die Klimapolitik-Verweigerung macht Küstenregionen, Trockengebiete, Flussdeltas unbewohnbar – Menschen werden zu Klimaflüchtlingen, deren Flucht dann als „mass migration“ bekämpft wird. Die Extraktionsökonomie entwurzelt Gemeinschaften, deren Land für Ressourcenabbau gebraucht wird. Die Freihandelsabkommen zerstören lokale Ökonomien, sodass Bleiben keine Option mehr ist. Erst die Vertreibung, dann die Grenze.
Das Dokument beklagt „destabilizing population flows“ und fordert, dass „sovereign countries work together to stop rather than facilitate“ Migration. Doch dieselbe Strategie produziert die Destabilisierung: Wer fossile Expansion vorantreibt, erzeugt Klimaflucht; wer Hemisphären-Dominanz beansprucht, perpetuiert die Ungleichheit, die Menschen zur Migration zwingt; wer Schuldenregime installiert, verunmöglicht eigenständige Entwicklung.
Redeckers Begriff macht die Asymmetrie sichtbar: Bleibefreiheit für die einen (die „europäisch“ bleiben sollen, die amerikanische Mittelklasse, deren „way of life“ geschützt wird), Bleibezwang für die anderen (Grenzregime, Abschiebung, Festung), und gleichzeitig Bleibeunmöglichkeit durch Zerstörung der Lebensbedingungen. Die drei Modalitäten verteilen sich entlang bekannter Linien – koloniale Geographie, aktualisiert.
Die liberale Kritik an Grenzen operiert oft mit Bewegungsfreiheit: Grenzen sind schlecht, weil sie Mobilität einschränken. Redecker verschiebt die Frage: Grenzen sind schlecht, weil sie Symptom einer Ordnung sind, die Bleiben verunmöglicht. Offene Grenzen ohne Bleibefreiheit perpetuieren die Entwurzelung – alle zirkulieren, niemand gehört irgendwohin. Die NSS realisiert das Gegenteil: geschlossene Grenzen ohne Bleibefreiheit – die Entwurzelten werden festgehalten, wo sie nicht leben können.
Federicis reproduzierender Körper trifft auf Redeckers verwurzelten Körper: Beide werden kontrolliert, beide sind Ressource, beide sollen an ihrem Platz bleiben – aber der „Platz“ selbst wird unbewohnbar gemacht. Die demographische Panik („birthrates“) korreliert mit der Mobilitätspanik („mass migration“): Europa soll sich selbst reproduzieren, an Ort und Stelle, während die Bedingungen globaler Reproduktion systematisch untergraben werden.
XX. Achtzehnte Drift: Planetare Grenzen und ihre Leugnung (Stengers/Latour)
Der erste Teil streifte die epistemische Hierarchie bei Descola – aber eine eigenständige Drift zur Klimaleugnung als epistemischem Projekt fehlte. Isabelle Stengers‘ In Catastrophic Times und Bruno Latours Facing Gaia liefern den Rahmen.
Die NSS setzt „climate change“ und „Net Zero“ in Anführungszeichen – graphische Marker der Distanzierung, die das Phänomen als ideologisches Konstrukt framen. Das ist keine Ignoranz; das ist aktive Leugnung. Das Dokument weiß um den Klimadiskurs und verwirft ihn explizit: Diese Ideologien hätten „so greatly harmed Europe“ und „threaten the United States“.

Stengers analysiert, wie der Kapitalismus auf planetare Grenzen reagiert: durch Leugnung (das Problem existiert nicht), durch Verzögerung (das Problem existiert, aber nicht dringend), durch technologischen Solutionismus (Technologie wird’s richten). Die NSS macht alle drei simultan: Leugnung durch Anführungszeichen; Verzögerung durch Nicht-Erwähnung von Maßnahmen; Solutionismus durch Technologie-Dominanz als Allheilmittel.
„Energy Dominance“ – Öl, Gas, Kohle, Atom – erscheint als „top strategic priority“. Das ist bewusste Entscheidung gegen jede Transformation des fossilen Regimes. Die Hemisphären-Strategie inkludiert Kontrolle über Energieressourcen, Ausbau fossiler Extraktion, Ablehnung jedweder Klimapolitik. Die „Golden Dome“ soll Amerika vor Raketen schützen; vor den Konsequenzen der Klimakatastrophe gibt es keinen Schutzschirm.
Latour spricht vom „neuen Klimaregime“ – der Einsicht, dass es kein Außen mehr gibt, keinen leeren Raum für Expansion, keine unendliche Ressourcenbasis. Die NSS ignoriert dieses Regime systematisch. Sie schreibt eine „National Security Strategy“, die planetare Sicherheit ausklammert; sie plant für Jahrzehnte, ohne die klimatischen Verwerfungen zu berücksichtigen, die diese Jahrzehnte prägen werden.
Das ist mehr als Leugnung – es ist epistemischer Krieg. Die Wissenschaft, die planetare Grenzen benennt, muss delegitimiert werden, weil sie das Expansionsprojekt bedroht. „Climate change“ in Anführungszeichen: ein kleines typographisches Zeichen, das einen massiven epistemischen Angriff markiert. Die Wahrheitsfähigkeit ganzer Wissensfelder wird in Frage gestellt, damit die Akkumulationsmaschine weiterlaufen kann.
Stengers‘ „Intrusion of Gaia“ – die Einsicht, dass der Planet zurückschlägt, dass die Natur keine passive Ressource bleibt – erscheint in der NSS nirgends. Die Strategie tut, als existiere keine planetare Grenze, kein Feedback-System, keine Konsequenz. Sie plant für eine Welt, die so nicht mehr existiert – und beschleunigt deren Zerstörung durch genau diese Planung.
XXI. Neunzehnte Drift: Die Verwirrung der Namen (Xunzi)
Die bisherigen Driften operierten mit westlichen Theoriewerkzeugen – selbst die Kritik des Westens vollzog sich in seinen Begriffen. Xunzi, konfuzianischer Denker des 3. Jahrhunderts v.Chr., eröffnet einen anderen Zugang: das Problem der semantischen Ordnung.
Sein zhengming (正名, Rektifikation der Namen) argumentiert schlicht und radikal: Soziale Ordnung hängt an korrekter Benennung. Stimmen die Namen nicht, stimmen die Urteile nicht; stimmen die Urteile nicht, gelingen die Vorhaben nicht; gelingen die Vorhaben nicht, kollabiert das Ritual; kollabiert das Ritual, verfehlen Strafen ihr Ziel; verfehlen Strafen ihr Ziel, weiß das Volk nicht mehr, wie es Hände und Füße bewegen soll. Deshalb muss der Herrscher Namen und Sachen in Übereinstimmung bringen – die erste Pflicht der Regierung.

Die NSS betreibt das präzise Gegenteil: systematische Falschbenennung als Herrschaftstechnik. „Climate change“ erscheint in Anführungszeichen – ein typographischer Griff, der Wissen zur Ideologie degradiert. „Civilizational erasure“ beschreibt Migration, während die tatsächlichen Auslöschungen (Kolonialismus, Genozide, epistemische Gewalt) namenlos bleiben. „Lethal force“ wird zur Sicherheitsmaßnahme euphemisiert; „deregulation“ meint Bürokratietransfer; „freedom“ codiert Herrschaft; „America First“ universalisiert Partikularinteresse als globale Norm. Jeder Begriff trägt eine Bedeutung, die sein Gegenteil ist.
Xunzi würde diagnostizieren: Das Imperium regiert durch Begriffsverwirrung. Wo die Namen nicht stimmen, können die Verhältnisse nicht zur Sprache kommen. Kritik erstickt, weil ihr das Vokabular fehlt; was falsch benannt ist, kann nicht richtig gedacht werden. Die semantische Unordnung produziert politische Lähmung – niemand weiß mehr, wie Hände und Füße zu bewegen sind.
Das ist keine bloße Rhetorik-Kritik. Für Xunzi konstituiert Sprache Wirklichkeit auf eine Weise, die westlicher Nominalismus unterschätzt. Die konfuzianische Tradition denkt Namen als wirkmächtig – richtige Benennung ordnet die Verhältnisse, falsche zerüttet sie. Ming (名, Name) und shi (實, Wirklichkeit) müssen korrespondieren; wo sie divergieren, entsteht luan (亂, Chaos), das sich als zhi (治, Ordnung) maskiert.
Zweite Ebene: Xunzis Ritualtheorie (禮 lǐ) berührt Graebers Bürokratie-Analyse, geht aber anders aus. Für Xunzi zivilisieren Rituale die rohe menschliche Natur (die er – anders als Mengzi – für schlecht hält); ohne rituelle Formung bleibt der Mensch gierig, neidisch, gewalttätig. Bürokratie wäre die moderne Ritualisierung sozialer Beziehungen – Formulare als Liturgie, Verfahren als Zeremoniell.
Graeber analysiert diese Ritualisierung als strukturelle Gewalt; Xunzi würde sie als Zivilisierungsnotwendigkeit verteidigen. Die Spannung löst sich nicht auf, aber sie verschiebt die Frage: Welche Rituale brauchen wir? Das konfuzianische lǐ zielte auf Humanisierung durch Form; die neoliberale Bürokratie zielt auf Verwaltung ohne Humanität. Dieselbe Struktur, verschiedene Teleologie.
Dritte Ebene: Xunzis Himmel (天 tian) agiert amoralisch – er reagiert nicht auf menschliches Tun, schickt keine Strafen für Sünden, belohnt keine Tugend. Die Natur operiert nach eigener Logik; der Weise passt sich an, statt Wunder zu erwarten. Diese Position steht quer zur NSS, die „God-given natural rights“ als Legitimationsgrund anführt, die göttliche Fundierung amerikanischer Mission beschwört.
Xunzi würde solche theologische Politik als Aberglauben verwerfen – als Verwechslung menschlicher Setzung mit kosmischer Ordnung. Die „natural rights“ sind gesetzt, geworden, gemacht; sie als „God-given“ zu präsentieren, naturalisiert historische Kontingenz. Das Imperium tarnt seine Konstruktionen als göttliche Stiftung – ein Betrug, den der konfuzianische Rationalist durchschaut.
Die Drift über Xunzi ist kein bloßes Addendum zum westlichen Theorieapparat. Sie markiert eine epistemische Verschiebung: post-westliches Denken, das den westlichen Kritikern noch etwas entgegensetzt. Chamayou, Mbembe, Schmitt, die anderen – sie operieren innerhalb eines Diskursraums, dessen Grenzen sie teilen. Xunzi steht außerhalb; seine Kategorien sind inkommensurabel, seine Fragen anders gestellt.
Was passiert, wenn zhengming auf Dekonstruktion trifft? Derrida würde die Möglichkeit korrekter Benennung bestreiten; Xunzi würde auf der Notwendigkeit beharren. Beide haben recht, auf verschiedene Weise. Die Unmöglichkeit fixierter Bedeutung (Derrida) hebt nicht auf, dass semantische Verwirrung Herrschaft ermöglicht (Xunzi). Die Drift braucht keine Synthese – sie braucht die Spannung.
XXII. Knotenpunkte: Wo die Driften konvergieren
Nach neunzehn Driften – sieben im ersten Teil, zwölf weitere hier – zeichnen sich Verdichtungszonen ab, Punkte, an denen die verschiedenen analytischen Linien sich kreuzen.
Erster Knotenpunkt: Asymmetrie als Strukturmerkmal
Clausewitz‘ Zweikampf, Chamayous Drohne, Mbembes Nekropolitik, Schmitts Großraum, Lazzaratos Schulden, Graebers Bürokratietransfer – alle analysieren Asymmetrie, aber auf verschiedenen Ebenen. Clausewitz dachte noch symmetrisch: zwei Kontrahenten, gegenseitige Anerkennung, wechselseitiges Risiko. Jede spätere Drift zeigt, wie diese Symmetrie kollabiert. Die Macht, ohne Risiko zu töten; die Macht, zu entscheiden, welches Leben zählt; die Macht, Räume zu ordnen und andere auszuschließen; die Macht, durch Kredit zu binden; die Macht, Regeln zu setzen, ohne ihnen zu unterliegen. Die NSS institutionalisiert all diese Asymmetrien hemisphärisch. Sie ist Kompendium asymmetrischer Machtformen, deren Gemeinsamkeit die Einseitigkeit ist: Die USA handeln; andere werden behandelt.
Zweiter Knotenpunkt: Produktion des Außen
Das „Ungouvernierbare“ (Chamayou), die „Todeszone“ (Mbembe), der „raumfremde“ Konkurrent (Schmitt), das „Lumpenproletariat“ (Marx), der „unzuverlässige“ Schuldner (Lazzarato), das „überregulierte“ Europa (Graeber/Slobodian), die „bedrohliche“ Reproduktion (Federici), die „ideologische“ Wissenschaft (Stengers) – alle werden als Außen produziert, das es zu kontrollieren, zu eliminieren, auszuschließen gilt. Doch dieses Außen ist nie wirklich außen; es ist Produkt der eigenen Operation. Die Kartelle entstehen aus Prohibition; die Migration aus Extraktion; die Bürokratie aus Deregulierung; die Klimakatastrophe aus fossiler Akkumulation; die „vergessenen Amerikaner“ aus derselben Ökonomie, die sie nun rhetorisch mobilisiert. Das System bekämpft seine eigenen Externalitäten.
Dritter Knotenpunkt: Körper als Ressource und Terrain
Der gejagte Körper (Chamayou), der tötbare Körper (Mbembe), der verschuldete Körper (Lazzarato), der administrierte Körper (Graeber), der reproduzierende Körper (Federici), der entwurzelte Körper (Redecker) – in allen Analysen erscheint der Körper als Terrain der Macht. Die NSS abstrahiert von Körpern; sie spricht von „national interest“, „strategic assets“, „demographic trends“. Doch hinter jeder Abstraktion stehen Körper: die Körper, die an der Grenze sterben; die Körper, die von Drohnen zerfetzt werden; die Körper, die Schulden abarbeiten; die Körper, die Formulare ausfüllen; die Körper, die reproduzieren sollen; die Körper, die nirgendwo bleiben dürfen. Koloniale Logik ist immer Körperpolitik – und Körper sind immer irgendwo.
Vierter Knotenpunkt: Die Zeit des Imperiums
Clausewitz‘ Krieg hatte Anfang und Ende – Kriegserklärung, Friedensschluss. Die NSS kennt diese Temporalität nicht mehr. Lazzaratos verpfändete Zukunft, Graebers endlose Prozeduren, Stengers‘ ignorierte Katastrophe, Schmitts neuer Nomos – alle involvieren Zeitlichkeiten jenseits von Beginn und Abschluss. Das Imperium operiert in einer Zeit, die es selbst setzt: die Zeit der Schuldenrückzahlung (nie abgeschlossen), die Zeit der Verfahrensdauer (endlos iterierbar), die Zeit bis zur klimatischen Unumkehrbarkeit (systematisch ignoriert), die Zeit der Raumordnung (permanent zu verteidigen). Die NSS projiziert amerikanische Dominanz in eine Zukunft, die sie selbst zerstört – „$40 trillion in the 2030s“ auf einem Planeten, dessen Bewohnbarkeit dieselbe Strategie untergräbt. Der permanente Krieg ohne Kriegserklärung ist auch: Krieg ohne Ende.
Fünfter Knotenpunkt: Freiheit als Herrschaft
Die NSS verspricht Freiheit – freie Märkte, Souveränität, Deregulierung. Doch jede dieser Freiheiten erweist sich als Herrschaftsform: Freie Märkte erfordern Encasement (Slobodian); Souveränität wird asymmetrisch zugestanden (Schmitt); Deregulierung produziert Bürokratie (Graeber); Bewegungsfreiheit des Kapitals korreliert mit Bewegungsunfreiheit der Körper (Mbembe). Die Sprache der Freiheit maskiert Strukturen der Kontrolle – das ist die ideologische Operation, die alle Driften durchzieht.
Sechster Knotenpunkt: Asymmetrie der Verwurzelung
Wer darf bleiben, wer muss gehen, wer darf nicht kommen? Die NSS verteilt Mobilität und Stasis ungleich: Kapital fließt, Menschen werden fixiert; „europäische“ Bevölkerungen sollen sich reproduzieren, andere sollen verschwinden; die Bedingungen des Bleibens werden zerstört, dann die Flucht kriminalisiert. Redeckers Bleibefreiheit macht diese Asymmetrie als Freiheitsproblem lesbar – wer fliehen muss, ist unfrei, auch bei offener Grenze. Die Hemisphären-Ordnung produziert Entwurzelung und bekämpft ihre Konsequenzen.
Siebter Knotenpunkt: Semantische Unordnung als Herrschaftstechnik
Alle Driften stoßen auf Benennungsprobleme: Clausewitz‘ „Krieg“ verschwindet zugunsten von „operations“; Chamayous „targeted killing“ verschleiert Hinrichtung; Mbembes „security“ maskiert Nekropolitik; Schmitts „Großraum“ wird zu „Western Hemisphere“; Lazzaratos „debt“ moralisiert Abhängigkeit; Graebers „deregulation“ meint Bürokratietransfer; Federicis „traditional family“ codiert Körperkontrolle; Redeckers „migration crisis“ verdeckt Bleibeunfreiheit; Stengers‘ „climate ideology“ invertiert Wissen und Leugnung. Xunzi liefert den Begriff für diese Operation: zhengming verkehrt – die systematische Verwirrung der Namen, die Kritik erstickt, weil ihr das Vokabular fehlt. Das Imperium herrscht durch falsche Benennung; seine Strategie ist semantischer Krieg.
Achter Knotenpunkt: Das Verschwinden des Krieges in seine Allgegenwart
Clausewitz dachte Krieg als Ausnahme – intensiv, begrenzt, politischem Zweck untergeordnet. Die NSS kennt keine Ausnahme mehr, weil sie keinen Normalzustand kennt. Chamayous permanente Jagd, Mbembes ausgedehnte Todeszonen, Schmitts Großraumordnung, Lazzaratos endlose Verschuldung, Graebers ubiquitäre Verwaltung – alle beschreiben Zustände ohne Unterbrechung. Der Krieg verschwindet als benanntes Phänomen und wird omnipräsent als unbenannte Praxis. „Lethal force“ gegen Kartelle ist kein Krieg; „boat strikes“ sind keine Kriegshandlungen; „targeted deployments“ fallen nicht unter Kriegsrecht. Das Chamäleon hat sich unsichtbar gemacht – es ist überall, gerade weil es nirgends als es selbst erscheint.
Neunter Knotenpunkt: Tragödie, Farce, Wiederholung
Marx‘ Einsicht durchzieht alle Driften: Geschichte wiederholt sich, weil die Lebenden die Toten nicht begraben können. Die Monroe-Doktrin kehrt wieder als Trump Corollary; der Kalte Krieg als China-Konfrontation; der Imperialismus des 19. Jahrhunderts als Hemisphären-Strategie. Jede Drift stößt auf Wiedergänger: Clausewitz‘ Zweikampf, längst überholt, spukt in der Kriegsrhetorik; Schmitts Großraum, 1945 diskreditiert, feiert Auferstehung; das koloniale Projekt, offiziell beendet, persistiert in neuen Formen. Die NSS ist Zitatgewebe – sie borgt „Namen, Schlachtparole, Kostüm“ aus der Vergangenheit, ohne deren Bedingungen wiederherstellen zu können. Die Farce besteht darin, dass das Kostüm nicht passt, die Bühne sich verändert hat, das Stück dennoch aufgeführt wird. Die Klassenfrage, die Marx stellen würde – wem dient die Aufführung? –, bleibt ungestellt, verdrängt durch Identitätsformeln („American interests“), die Partikularinteressen als Allgemeinheit maskieren.
XXIII. Zweites provisorisches Ende: Immer noch ohne Synthese
Die Drift hat sich verzweigt – zu viele Pfade, zu viele Kreuzungen. Was als Analyse begann, wurde Kartographie eines Labyrinths. Die verschiedenen theoretischen Schneisen zeigen verschiedene Facetten desselben Phänomens; keine reduziert sich auf die andere; keine liefert den Schlüssel.

Clausewitz zeigt den klassischen Krieg, dessen Abwesenheit die Gegenwart prägt; Chamayou die Jagd, die ihn ersetzt; Mbembe, wen sie trifft; Schmitt die Raumstruktur; Marx die Farce der Wiederholung und die Klassenfrage, die niemand stellt; Lazzarato die Bindung durch Schulden; Graeber die Verwaltung, die als Freiheit firmiert; Federici den reproduzierenden Körper; Redecker den verwurzelten; Stengers die planetare Grenze; Xunzi die semantische Unordnung. Zusammen ergeben sie kein kohärentes Bild – sie ergeben ein Kaleidoskop, dessen Muster sich mit jedem Drehen verändert.
Die Eingangsfrage bleibt: Wie transformiert sich imperiale Logik, ohne zu verschwinden? Die Antwort hat sich differenziert, ist aber nicht klarer geworden. Ja, Rhetorik wechselt bei Strukturkonstanz – aber welche Struktur? Die Asymmetrie, die Externalisierung, die Körperpolitik, die Temporalität, die Freiheitsideologie – all das sind Strukturmomente, aber ihr Zusammenhang bleibt opak.
Vielleicht ist das die Einsicht: Koloniale Logik hat keine einfache Struktur, die man identifizieren und dann bekämpfen könnte. Sie ist Geflecht, Matrix, Rhizom – Walter Mignolo hatte recht. Sie operiert simultan auf vielen Ebenen, nutzt verschiedene Mechanismen, bedient verschiedene Diskurse. Kritik, die einen Strang fasst, verfehlt die anderen.
Was bleibt, ist die Arbeit der Defamiliarisierung – das Normale fremd erscheinen lassen, die Selbstverständlichkeit auflösen, die Muster sichtbar machen, auch wenn man sie nicht bündeln kann. Die NSS 2025 bietet unfreiwillig Gelegenheit dazu: Sie formuliert so explizit, was sonst implizit bleibt, dass die Analyse ansetzen kann.
Die Drift endet erneut ohne Ausweg – aber mit dichterem Material. Die Kreuzungen haben sich vermehrt; die Wege sind zahlreicher geworden. Vielleicht ist das der Fortschritt: Komplexitätssteigerung statt Lösung. Das Problem präziser zu fassen, auch wenn man es nicht löst.
Die Drift setzt sich fort in Teil III – dort warten Deleuze/Guattari (Kriegsmaschine vs. Staatsapparat), Butler (Grievability), Haraway (Chthulucene), Spivak (subalterne Stimme). Das Labyrinth verzweigt sich weiter.
Teil III: Maschinen, Trauer, Tentakel, Stimmen
Fortsetzung der Drift – nun entlang der Schneisen, die Deleuze/Guattari, Butler, Haraway und Spivak geschlagen haben
XXIV. Zwanzigste Drift: Kriegsmaschine und Staatsapparat (Deleuze/Guattari)
Tausend Plateaus (1980) unterscheidet zwei Pole der Gewaltorganisation: den Staatsapparat, der Territorien einkerbt, Bevölkerungen fixiert, Räume parzelliert – und die Kriegsmaschine, die nomadisch operiert, Grenzen durchquert, Fluchtlinien zieht. Der Staat will einfangen; die Kriegsmaschine will entfliehen. Historisch appropriiert der Staat die Kriegsmaschine, macht sie zum Militär, zur Polizei, zum Gewaltmonopol. Doch die Kriegsmaschine bleibt ihm äußerlich – sie kann sich jederzeit wieder lösen, andere Richtungen einschlagen, gegen den Staat wenden.

Die NSS träumt vom perfekten Staatsapparat: Hemisphären-Kontrolle, Grenzregime, Überwachungsnetz, „full control“. Jeder Raum soll eingekerbt, jede Bewegung registriert, jede Fluchtlinie abgeschnitten werden. „The era of mass migration is over“ – das ist Einkerbungsphantasie in Reinform, der Traum vom glatten Raum, der vollständig eingehegt wurde, parzelliert, kontrolliert.
Doch die NSS dokumentiert zugleich das Scheitern dieses Traums. Die Kartelle operieren als Kriegsmaschinen – nomadisch, grenzüberschreitend, staatlichen Apparaten entgleitend. Die Migration selbst ist Kriegsmaschine: Bewegung, die sich der Einkerbung entzieht, Fluchtlinie, die Grenzen perforiert. China als „non-Hemispheric competitor“ durchdringt Lieferketten wie Wasser durch Ritzen. Überall Deterritorialisierung, die der Staat reterritorialisieren will – und nicht kann.
Deleuze/Guattari würden die Drohne ambivalent lesen. Einerseits: Instrument des Staatsapparats, Einkerbung aus der Luft, Kontrolle durch Sichtbarkeit. Andererseits: Die Drohne selbst operiert nomadisch, ortlos, entgrenzt. Sie gehört keinem Territorium, überfliegt Grenzen, entzieht sich dem Raum, den sie kontrolliert. Der Pilot sitzt in Nevada, das Ziel stirbt in der Karibik – eine Kriegsmaschine im Dienst des Staatsapparats, die dessen territoriale Logik zugleich unterläuft.
Die tiefere Frage: Kann der Staatsapparat die Kriegsmaschine dauerhaft appropriieren? Deleuze/Guattari sind skeptisch. Die Kriegsmaschine tendiert zur Autonomisierung, zur Verselbstständigung, zum Eigenleben. Die privatisierten Militärfirmen, die Chamayou analysiert – Blackwater, Academi, die Söldnerökonomie – sind Kriegsmaschinen, die sich vom Staat lösen, nach eigener Logik operieren, profitgetrieben statt politikgesteuert. Die NSS schweigt von ihnen, aber sie durchziehen die Hemisphären-Strategie: ausgelagerte Gewalt, die dem Staat dient und ihn zugleich aushöhlt.
Die Fluchtlinien sind das Andere der Einkerbung. Deleuze/Guattari romantisieren sie nicht – Fluchtlinien können in Zerstörung münden, in Selbstauflösung, in neue Gefangenschaft. Aber sie markieren, was der Staatsapparat nicht schließen kann: die Risse, die Löcher, die Bewegungen, die sich der Kontrolle entziehen. Die NSS ist Monument des Einkerbungswillens; ihre Länge (33 Seiten), ihre Detailversessenheit, ihre Kontrollphantasien bezeugen die Angst vor dem, was entgleitet. Das Dokument wäre unnötig, wenn die Kontrolle gelänge.
XXV. Einundzwanzigste Drift: Betrauerbarkeit (Butler)
Judith Butlers Frames of War (2009) und Precarious Life (2004) stellen die Frage: Welche Leben gelten als betrauerbar? Wessen Tod wird als Verlust anerkannt, beweint, erinnert? Und wessen Tod verschwindet spurlos, unbemerkt, unbetrauert?

Die NSS hierarchisiert Leben – das haben frühere Driften gezeigt. Butler liefert den Begriff für diese Operation: differentielle Betrauerbarkeit. Amerikanische Fentanyl-Tote sind betrauerbar; sie erscheinen als nationale Tragödie, als „epidemic“, als Kriegserklärung der Kartelle, die „lethal force“ rechtfertigt. Mexikanische Tote an der Grenze, Ertrunkene im Mittelmeer, Drohnenopfer in der Karibik – sie sind es nicht. Ihr Tod produziert keine Trauer, keine Schlagzeilen, keine politischen Konsequenzen. Sie waren, epistemisch gesehen, nie ganz lebendig.
Butler analysiert, wie dieser Unterschied produziert wird: durch Rahmungen, durch Bilder, durch Narrative. Wer als Mensch gerahmt wird, dessen Tod zählt; wer außerhalb des Rahmens bleibt – als „target“, als „illegal“, als „collateral damage“ – dessen Tod ist kein Ereignis. Die NSS produziert solche Rahmungen: „American citizens“ versus „foreign actors“; „our people“ versus namenlose Massen, die „flows“ bilden, „threats“ darstellen, „controlled“ werden müssen. Die Sprache selbst entzieht Menschlichkeit.
Das „precarious life“ – das gefährdete, verletzliche, exponierte Leben – ist ungleich verteilt. Prekarität ist ontologisch (alle Menschen sind verletzlich) und politisch (bestimmte Menschen werden verletzlicher gemacht). Die NSS verteilt Prekarität: Sie verspricht Schutz für die einen („protect our country, its people“), während sie Gefährdung für andere produziert (Militarisierung, Klimaleugnung, Grenzgewalt). Die Grenze ist Prekarisierungsmaschine – sie sortiert, wer geschützt wird und wer exponiert bleibt.
Butlers Pointe: Betrauerbarkeit ist Bedingung für Gewaltbegrenzung. Wenn ein Leben als betrauerbar gilt, zögern wir, es zu nehmen; sein Verlust wäre Verlust. Wenn es nicht als betrauerbar gilt, kann es genommen werden – ohne Schuld, ohne Trauer, ohne Konsequenz. Die Drohne tötet, weil ihre Ziele nicht betrauerbar sind; die Grenze tötet, weil die Ertrinkenden nicht betrauerbar sind; die Klimapolitik-Verweigerung tötet, weil die künftigen Opfer nicht betrauerbar sind. Die differentielle Betrauerbarkeit ermöglicht die Gewalt, die sie voraussetzt.
Die „civilizational erasure“, die die NSS Europa androht – sie wäre, in Butlers Begriffen, Verlust betrauerbaren Lebens: europäisches, weißes, „our“ Leben. Dass Migration selbst massenhaft Leben kostet, erscheint nicht als „erasure“, weil diese Leben nie in den Rahmen der Betrauerbarkeit eintraten. Die Asymmetrie ist total: Die einen werden betrauert, bevor sie sterben (prophylaktische Trauer um die „civilization“); die anderen werden nicht betrauert, nachdem sie starben.
XXVI. Zweiundzwanzigste Drift: Tentakuläres Denken (Haraway)
Donna Haraways Staying with the Trouble (2016) schlägt einen anderen Weg vor – raus aus dem Anthropozän (zu sehr auf den Menschen zentriert), raus aus dem Kapitalozän (zu sehr aufs Kapital fixiert), hinein ins Chthulucene: eine Epoche der Tentakel, der Verwicklung, der sym-poiesis (des Zusammen-Machens).
Die NSS ist Monument des Anthropozän im schlechtesten Sinn: der Mensch (genauer: ein bestimmter Mensch, männlich, weiß, amerikanisch) als Zentrum, als Maß, als Herr. „American preeminence“, „our dominance“, „we will“ – das souveräne Subjekt, das über die Erde verfügt, Ressourcen extrahiert, Hemisphären kontrolliert. Haraways Chthulucene denkt vom Anderen her: von den Kraken, den Spinnen, den Korallen, den symbiotischen Geflechten, die Leben ermöglichen, ohne es zu beherrschen.

„Make kin, not babies“ – Haraways Provokation gegen die demographische Panik, die auch die NSS durchzieht („birthrates“, „traditional families“). Verwandtschaft jenseits von Blut und Nation; Verbindungen, die nicht auf Reproduktion der Eigenen zielen, vielmehr auf Verwicklung mit Fremdem. Das ist das Gegenteil der NSS-Logik, die Grenzen zieht, Zugehörigkeit definiert, „our people“ von den anderen trennt.
Haraways „response-ability“ – die Fähigkeit zu antworten, Verantwortung als Antwortbereitschaft – steht gegen die NSS-Souveränität, die nicht antwortet, vielmehr befiehlt. Der Souverän hört nicht; er spricht. Er reagiert nicht; er agiert. Die tentakuläre Alternative wäre: Fühler ausstrecken, Verbindungen knüpfen, auf Signale achten, die nicht aus dem eigenen Zentrum kommen. Das Klima sendet Signale (Stengers‘ „Intrusion of Gaia“); die NSS ignoriert sie. Die Migration sendet Signale; die NSS bekämpft sie. Überall Kommunikation, die abgebrochen wird, weil der Souverän keine Antwort braucht – er hat bereits entschieden.
„Staying with the trouble“ – beim Problem bleiben, statt es wegzubomben, wegzuzäunen, wegzuleugnen. Die NSS will nicht beim Problem bleiben; sie will es lösen, final, total. „Defeat cartels“, „control migration“, „deny competitors“ – die Sprache der Elimination. Haraways Alternative wäre: mit dem Chaos leben lernen, in der Verstrickung navigieren, Arrangements finden, die niemand ganz kontrolliert. Das ist keine Lösung; das ist Praxis ohne Lösung, Überleben im Durcheinander.
Die Kompostierung – Haraways Leitmetapher – steht gegen die Akkumulation. Die NSS akkumuliert: Macht, Territorium, Ressourcen, Kontrolle. Kompostierung zersetzt, gibt zurück, zirkuliert. Die toten Driften dieser Analyse – Clausewitz‘ überholter Krieg, Schmitts diskreditierter Großraum, Marx‘ gescheiterte Revolution – wären Material für den Kompost: zersetzt, umgewandelt, neu kombiniert, nicht als System, vielmehr als Humus für Denken, das noch kommen könnte.
XXVII. Dreiundzwanzigste Drift: Kann die Subalterne sprechen? (Spivak)
Gayatri Chakravorty Spivaks berühmter Essay von 1988 stellt eine Frage, die alle bisherigen Driften umkreisen, ohne sie zu stellen: Wer spricht in der NSS? Wer wird zum Schweigen gebracht? Und kann die Kritik selbst die Stimmlosen hörbar machen – oder reproduziert sie deren Stummheit?
Die NSS spricht. Sie spricht laut, 33 Seiten lang, in der ersten Person Plural: „we want“, „we will“, „our interests“. Dieses „Wir“ ist Fiktion – es inkludiert nicht die Mehrheit der Amerikaner, schon gar nicht die Bewohner der „Western Hemisphere“, über die verfügt wird. Das sprechende Subjekt ist weiß, männlich, besitzend, imperial. Es spricht für alle, indem es alle anderen zum Schweigen bringt.

Die Subalterne – jene, die strukturell von Repräsentation ausgeschlossen sind – erscheint in der NSS als Objekt: als „flow“ (Migration), als „threat“ (Kartelle), als „challenge“ (China), als „partner“ (Klientelstaaten). Sie wird nicht gehört; sie wird beschrieben, klassifiziert, verwaltet, bekämpft. Die Asymmetrie ist epistemisch: Das Dokument weiß über die Anderen, ohne von ihnen zu wissen. Es spricht über sie, ohne sie sprechen zu lassen. Es plant für sie, ohne nach ihren Plänen zu fragen.
Spivaks Pointe ist bitter: Auch die Kritik kann die Subalterne nicht einfach zum Sprechen bringen. Wer versucht, „der Subalternen eine Stimme zu geben“, riskiert deren erneute Vereinnahmung – der wohlmeinende Intellektuelle spricht für die Stimmlosen und perpetuiert damit die Struktur, die sie stimmlos macht. Die westliche Kritik (Chamayou, Mbembe, Butler – alle in westlichen Akademien verortet) kann die imperiale Logik analysieren, aber sie kann nicht an die Stelle der Subalternen treten.
Was bleibt? Spivak schlägt „strategischen Essentialismus“ vor – die provisorische Verwendung kollektiver Identitäten für politische Kämpfe, im Wissen um deren Konstruiertheit. Und sie insistiert auf der Unmöglichkeit transparenter Repräsentation: Die Subalterne kann nicht einfach sprechen, weil die Strukturen, die sie subaltern machen, ihr die Mittel der Rede entziehen. Das ist keine resignative Feststellung; das ist Einsicht in die Schwere der Aufgabe.
Für diese Drift bedeutet das: Sie kann die NSS kritisieren, deren Schweigen hörbar machen, auf die Stimmlosen verweisen – aber sie kann sie nicht repräsentieren. Die Drohnenopfer, die Grenztoten, die Verschuldeten, die Entwurzelten – sie erscheinen hier als theoretische Figuren, als Objekte der Analyse, eingepasst in westliche Theorierahmen. Das ist unvermeidlich und ungenügend. Die Drift weiß um ihre eigene Komplizenschaft mit dem, was sie kritisiert.
Xunzis zhengming – die Rektifikation der Namen – trifft hier auf seine Grenze. Namen können korrigiert werden; aber wer benennt? Die Macht, Namen zu setzen, ist ungleich verteilt. Die NSS benennt: „threat“, „partner“, „competitor“. Die Kritik benennt um: „Nekropolitik“, „Prekarität“, „Subalternität“. Aber auch die kritischen Namen sind Setzungen, gesprochen von Positionen der Macht (akademisch, westlich, privilegiert). Die Subalterne benennt nicht; sie wird benannt.
XXVIII. Knotenpunkte (Fortsetzung)
Zehnter Knotenpunkt: Kontrolle und Entgleisung
Deleuze/Guattaris Kriegsmaschine durchzieht alle Driften als das, was entgleitet. Die Kartelle entgleiten dem Staat; die Migration entgleitet der Grenze; das Klima entgleitet der Leugnung; die Subalterne entgleitet der Repräsentation. Die NSS ist Monument des Einkerbungswillens – und Dokument seines Scheiterns. Jede Kontrollphantasie bezeugt, was sich der Kontrolle entzieht; jede Grenzziehung markiert, was die Grenze perforiert. Das Imperium antwortet auf Entgleisung mit Eskalation: mehr Kontrolle, mehr Gewalt, mehr Einkerbung. Der Teufelskreis schließt sich nicht; er spiralt.
Elfter Knotenpunkt: Betrauerbarkeit und Gewalt
Butler verbindet alle Driften auf der Ebene der Affekte. Die Drohne tötet, weil ihre Ziele nicht betrauerbar sind (Chamayou); die Nekropolitik sortiert betrauerbare und unbetrauerbare Leben (Mbembe); der Großraum definiert, wessen Leben zählt (Schmitt); die Schulden degradieren den Schuldner zur unbetrauerbaren Existenz (Lazzarato); die Klimaleugnung macht künftige Tote unbetrauerbar, bevor sie sterben (Stengers). Die differentielle Betrauerbarkeit ist die affektive Infrastruktur des Imperiums – sie ermöglicht Gewalt, indem sie deren Opfer aus dem Kreis der Betrauernswerten ausschließt.
Zwölfter Knotenpunkt: Sym-poiesis vs. Auto-poiesis
Haraway unterscheidet: Auto-poiesis (Selbst-Herstellung, geschlossenes System) vs. Sym-poiesis (Zusammen-Herstellung, offenes Geflecht). Die NSS ist auto-poietisch: Amerika macht sich selbst, braucht niemanden, schließt Grenzen, zentriert auf „our interests“. Das Chthulucene wäre sym-poietisch: Verwicklung, Abhängigkeit, Verbindung. Alle Driften zeigen, wie die auto-poietische Phantasie scheitert – Amerika ist verstrickt in Lieferketten, abhängig von Migration, verbunden mit dem Planeten, den es zerstört. Die Souveränitätsbehauptung ist Leugnung der tatsächlichen Verstrickung.
Dreizehnter Knotenpunkt: Das Schweigen der Subalternen
Spivak markiert die Grenze aller Driften: Sie sprechen über die, die nicht sprechen können. Die Analyse reproduziert, was sie kritisiert – die Asymmetrie der Stimmen, die Macht der Benennung, die Unsichtbarkeit der Betroffenen. Das ist keine Entschuldigung für Untätigkeit; das ist Einsicht in die Komplizenschaft der Kritik. Die Drift kann das Schweigen nicht brechen; sie kann es hörbar machen als Schweigen. Xunzis zhengming trifft auf seine Grenze: Wer korrigiert die Namen, wenn die Macht, zu benennen, selbst das Problem ist?
XXIX. Drittes provisorisches Ende: Die Aporie der Kritik

Die Drift hat sich verzweigt – dreiundzwanzig Schneisen durch ein Dickicht, das dichter wird, je tiefer man eindringt. Was als Analyse der NSS begann, wurde Selbstbefragung der Kritik. Kann Theorie das Imperium treffen? Oder reproduziert sie dessen Gesten – die Souveränität des Urteils, die Klassifikation des Anderen, die Benennung dessen, was stumm bleibt?
Clausewitz zeigt den klassischen Krieg, dessen Abwesenheit die Gegenwart prägt; Chamayou die Jagd, die ihn ersetzt; Mbembe, wen sie trifft; Schmitt die Raumstruktur; Marx die Farce der Wiederholung; Lazzarato die Schulden; Graeber die Verwaltung; Federici den reproduzierenden Körper; Redecker den verwurzelten; Stengers die planetare Grenze; Xunzi die semantische Unordnung; Deleuze/Guattari das Entgleiten; Butler die Trauer; Haraway die Tentakel; Spivak das Schweigen.
Zusammen ergeben sie kein Programm – sie ergeben eine Konstellation von Aporien. Das Imperium ist zu analysieren und nicht zu besiegen durch Analyse; die Subalterne ist zum Sprechen zu bringen und nicht zum Sprechen zu bringen; die Kontrolle ist zu kritisieren aus Positionen, die selbst Kontrolle ausüben; die Namen sind zu rektifizieren von denen, die Macht haben zu benennen.
Vielleicht ist das die Einsicht am Ende der Driften: Die Kritik kann das Imperium nicht verlassen, nur in ihm navigieren. Sie kann Schneisen schlagen, die andere nutzen; Sichtbarkeiten verschieben; Schweigen hörbar machen; Rahmungen stören. Das ist wenig; das ist viel. Die Drift endet ohne Ausgang – aber die Schneisen bleiben, offen für die, die nach uns kommen.
Das Labyrinth hat kein Zentrum und keinen Ausgang – nur Gänge, die sich verzweigen, und Stimmen, die nachhallen. Die Drift ist beendet; die Bewegung geht weiter.
Quellenliste:
Primärquelle
White House (2025): National Security Strategy of the United States of America. November 2025. https://www.whitehouse.gov/wp-content/uploads/2025/12/2025-National-Security-Strategy.pdf
Referenzierte Werke
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Fanon, Frantz (1952): Peau noire, masques blancs. Paris: Éditions du Seuil. — Koloniale Projektion als psychische Grundoperation
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Tsing, Anna Lowenhaupt (2015): The Mushroom at the End of the World: On the Possibility of Life in Capitalist Ruins. Princeton: Princeton University Press. — Skalierbarkeit als koloniale Kernlogik
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Teil II
Butler, Judith (2004): Precarious Life: The Powers of Mourning and Violence. London: Verso. — Prekarität, Verletzlichkeit (im Text als Vorgriff auf Teil III)
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Mbembe, Achille (2003): „Necropolitics“. Public Culture 15(1): 11–40. — Nekropolitik, Todeszonen, differentielle Tötbarkeit
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Schmitt, Carl (1950): Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum. Köln: Greven. — Landnahme, Raumordnung, europäischer Nomos
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Implizit referenzierte Kontexte
Derrida, Jacques – Dekonstruktion (in Spannung zu Xunzi)
Foucault, Michel – Biopolitik, Gouvernementalität (Hintergrund für Mbembe, Chamayou, Lazzarato)
Han, Byung-Chul – Erschöpfungsgesellschaft, Psychopolitik (in Teil I, „Zerstörung als Deakkumulation“)
Situationistische Internationale – Dérive als Methode (Einleitung)