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Autarkie in den Rissen

Autarkie kippt ins Totalitäre, wo sie sich verabsolutiert. Aber in den Rissen kapitalistischer Mobilisierung wächst Widerständiges – nicht als Rückzug in Festungen, sondern als störrisches Verweilen im Nicht-Skalierbaren. Der Matsutake zeigt: Wer der Kommodifizierung entgleiten will, braucht Porosität, nicht Mauern.

Ruinen als Ausgangslage

Die Prämisse ist ungemütlich: Wir bewohnen Trümmerfelder, die der Kapitalismus hinterlässt – ökologisch, sozial, epistemologisch. Restauration fällt aus, die unberührte Landschaft ist Phantasma. Was bleibt, ist die Frage, wie sich in Verwüstungen leben lässt, welche Assemblagen dort emergieren, wo Planbarkeit scheitert.

Der Matsutake, ein nicht-kultivierbarer Pilz, der in gestörten Kiefernwäldern wächst – nach Kahlschlag, Waldbrand, nuklearer Kontamination –, liefert eine Denkfigur. Er braucht das Verwüstete, gedeiht im Unfertigen, entzieht sich der Skalierung. Das Kapital kann ihn kommodifizieren, global verschieben, in Preiskategorien pressen. Domestizieren kann es ihn nicht. Diese störrische Unplanbarkeit macht ihn interessant für jede Überlegung, die Widerständigkeit jenseits heroischer Konfrontation sucht.

Die Versuchung des Rückzugs

Autarkie erscheint als naheliegende Antwort. Sich den Lieferketten entziehen, Subsistenz als Verweigerungsgeste, lokale Kreisläufe gegen globale Ströme. Die Verlockung ist real – wer die kybernetischen Feedbackschleifen der Logistik durchschaut hat, die Schweröl-Container, die algorithmische Steuerung, die necropolitische Verteilung von Lebenschancen, der sehnt sich nach dem Außen.

Hier lauert eine Falle. Selbstgenügsamkeit kippt ins Totalitäre, wo sie sich verabsolutiert, Exit-Optionen verstopft, jede Relativierung verliert. Die geschlossene Gemeinschaft, die sich als souveräne Einheit begreift, reproduziert im Kleinen, was sie im Großen bekämpft: Einmauerung, Kontrollphantasie, Reinheitssehnsucht. Der Unterschied zwischen Öko-Kommune und völkischer Siedlung wird dann dünn, manchmal inexistent.

Porosität als Gegenprinzip

Was die autoritäre Drift aufhält, sind Sollbruchstellen im System – rhythmische Öffnungen, kosmologische Einbettung statt Souveränitätswahn. Indigene Praktiken, klösterliche Traditionen, taoistische Lebensformen zeigen Alternativen: Bodenhaftung, die durchlässig bleibt. Zugehörigkeit, die sich nicht als Festung versteht.

Das unterirdische Netzwerk der Pilzfäden liefert ein botanisches Modell. Myzel verzweigt sich, fusioniert, teilt Nährstoffe – kein Zentrum, keine Hierarchie. Mutterbäume versorgen Setzlinge, Alarmsignale wandern durch den Waldboden. Die Kooperation ist interessengeleitet, kein altruistischer Kitsch, aber sie funktioniert lateral statt vertikal.

Autarkie, die sich daran orientiert, wäre symbiontische Autonomie. Unabhängig von der Pipeline, vom Containerhafen, von der algorithmischen Logistik, die Waren in Millisekunden trackt, während Arbeiter auf Visa warten – angewiesen auf das, was sich nicht skalieren lässt: auf den Nachbarn, der das Saatgut weitergibt, auf die Böden, die Jahrzehnte brauchen, um fruchtbar zu werden, auf das Wissen, das nur mündlich wandert, auf Reziprozitäten, die kein Vertrag regelt. Verwurzelt, aber vernetzt durch Strukturen, die der kapitalistischen Hub-and-Spoke-Logik entgehen.

Die Unreinheit der Alternativen

Jede Praxis bleibt verstrickt, komplizit, widersprüchlich. Wer sich völlig entzieht, reproduziert Reinheitsphantasien – die Sehnsucht nach unberührter Natur, nach einer dreckfreien Zukunft, die binäre Logiken perpetuiert. Rein/unrein, natürlich/künstlich, gesund/kontaminiert: Diese Oppositionen werden politisch gefährlich, weil sie ausblenden, dass Kontamination längst universal ist. Mikroplastik in Fischen, PFAS im Grundwasser, CO₂ in jeder Atmosphäre.

Commons, die tatsächlich funktionieren, sind keine romantischen Utopien. Sie verlangen Engagement, Regeln, Sanktionen bei Missbrauch – Ostrom hat das nüchtern dokumentiert. Sie sind ständig bedroht durch Privatisierung, Kommodifizierung, staatliche Vereinnahmung. Der Tausch-Logik zu entkommen bleibt anstrengend, weil alles ringsum auf Warenförmigkeit eingestellt ist.

Entmobilisierung statt Selbstgenügsamkeit

Vielleicht liegt der produktive Kern von Autarkie weniger in der Selbstversorgung als in der Verweigerung erzwungener Mobilität. Die globale Lieferkette braucht Entwurzelung – Menschen müssen bereit sein, für Niedriglöhne zu arbeiten, was voraussetzt, dass Subsistenzalternativen zerstört wurden. Wer Verwurzelung stärkt, entzieht dem System Verfügungsmasse.

Community land trusts, die Boden dem Markt entziehen. Kooperativen, die Produktionsmittel kollektiv besitzen. Reparationsmaßnahmen für historische Enteignung. Das sind materielle Bedingungen, die es Menschen ermöglichen zu bleiben statt migrieren zu müssen. Autarkie als Bleiberecht, als Recht auf Nicht-Mobilisierung.

Störrisch bleiben

Die Frage nach Widerstand verschiebt sich: Wo sind die Risse? Wo funktioniert die kapitalistische Mobilisierung nicht – jene Entfremdungsmaschinerie, die Menschen und Dinge zu beweglichen Assets macht, sie aus Lebenswelten reißt, in distanzüberwindende Transportströme einspeist, gegen andere Assets tauscht, anderswoher, aus anderen Welten? Wo bleiben Dinge störrisch verwurzelt, wo verweigern Menschen die Selbst-Mobilisierung, jenen Flexibilitätsimperativ, der Prekarität zur Tugend umcodiert?

Der Pilz, der sich der Plantation logic entzieht, zeigt eine Möglichkeit. Unplanbar bleiben, auf Symbiosen angewiesen sein, im Brachland wuchern, aber der Kommodifizierung entgleiten. Das ist keine revolutionäre Phantasie, kein Frontalangriff aufs System. Eher ein Beharren auf dem Nicht-Skalierbaren, ein Sich-Einrichten in den Lücken, die das Kapital lässt, weil es sie nicht schließen kann.

Autarkie, so verstanden, wäre Praxis des Widerstehens gegen vollständige Vereinnahmung – durchlässig genug, um nicht faschistoid zu werden, geerdet genug, um nicht restlos mobilisierbar zu sein. Matsutake-Logik für beschädigte Landschaften.


Der Beitrag diskutiert den Artikel Autarkie und autoritäre Drift mit dem Artikel Dérive durch Anna Lowenhaupt Tsings Zitat.

Die Methode Theorie Dérive ist hier beschrieben: https://tianwen-akademie.de/das-theorie-derive/

Von sab

Sascha Büttner
Seit mehr als 25 Jahren übt Sascha Büttner die Profession des Coaches sowie des Trainers in der Arbeitswelt aus, ist Taijiquan, Tai Chi und Qigong praktizierender und meditiert seit seinem 14. Lebensjahr. Zudem betätigt er sich als Fotograf, Herausgeber und Autor. Zeit seines Lebens folgt er dem Tao.
Sascha Büttner gründete und betreibt das metalabor, einen der kleinsten, deutschsprachigen Think Tanks.